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Als Boeing im Jahre 1994 die 777 vorstellte, ahnte niemand vom Erfolg des, für die damalige Zeit noch jungen Konzeptes eines Widebody-Twin-Jets. Viermotorige Muster hatten die Vormacht auf den Langstrecken dieser Welt. Nach nun über 25 Jahren, wurde es höchste Zeit für Boeing ihren „Goldesel“ einmal aufzupolieren. Die Boeing 777X tritt in große Fußstapfen.
Die 777 leitete seit ihrer Indienststellung eine Kehrtwende in der Luftfahrt ein, indem sie nach und nach deutlich unwirtschaftlichere Vierstrahler verbannte. Sie war zur damaligen Zeit das erste Flugzeugprojekt, das vollständig und digital am Computer entwickelt worden ist. Auch der komplett runde Querschnitt des Rumpfes unterscheidet die 777 optisch von ähnlichen Mustern.
Bekannt wurde sie nicht zuletzt wegen ihrer Triebwerke. Auch wenn es für die 777 zu Anfang noch eine Option mit Rolls-Royce Triebwerken gab, wurden doch die Mehrheit der insgesamt über 1.500 ausgelieferten Jets mit dem General Electric GE90 Triebwerk ausgestattet. Es ist mit 3,42 Metern Durchmesser und bis zu 115.000 PS Leistung bis heute das größte und stärkste Triebwerk der Welt. Der Rumpf eines Airbus A320 würde durch das GE90 hindurch passen. Die Frachtversion der 777 übertrumpft sogar vom reinen Volumen her den hausinternen Rivalen, die 747F, und ist dabei noch sparsamer.
Mit der Zulassung nach hohen ETOPS-Standards (Extended Range Operations with two-engined aeroplanes – der erhöhten Reichweite mit zwei Triebwerken) darf die 777 auch auf extrem abgeschiedenen Routen operieren, die bisher den genannten Vierstrahlern wie der Boeing 747 oder dem Airbus A340 vorbehalten waren. Die Behörden verlangen von einfachen Jets, dass man innerhalb von einer Flugstunde einen Ausweichflughafen erreichen muss.
Bei der Überquerung des Atlantiks, des Pazifiks, dem indischen Ozean oder Zentralchina ist die Flugplatzdichte allerdings zu gering. Die nötige Ausstattung der benötigten Flughäfen reicht hier auch schlichtweg nicht aus, um großen Jets als Ausweichplätze zu dienen. Um die Entfernung zum nächsten Airport über eine Stunde hinaus zu erhöhen, muss das Fluggerät deutlich höhere Anforderungen erfüllen. Vier Triebwerke haben naturgemäß in diesem Segment immer den Vortritt gehabt.
Verdanken kann die 777 ihre ETOPS-Zulassung bis zu 330 Minuten (5,5 Stunden) vor allem ihrer extrem hohen Redundanz. Mit der 777-200LR als Ultra-Langstrecken-Version, oder der 777-300ER als Arbeitstier der meisten großen Carrier dieser Welt, stellt sie eine der vielseitigsten Flugzeugfamilien dar.
Nach vielen Jahren des Einsatzes, nicht zuletzt mit den modernen Frachter-Versionen, wurde es für Boeing Zeit einen Nachfolger anzustreben. Als Antwort auf den Airbus A350XWB stellte Boeing im November 2013 die 777X vor. Inzwischen wurde die Produktpalette der 777X um die Versionen 777-9 (414 Passagiere, 14.000 km Reichweite), der kleineren 777-8 (365 Passagiere, 16.000 km Reichweite) und einer – entsprechende Nachfrage vorausgesetzt – gestreckten 777-10 konkretisiert. Mit letzterer könnten Airlines in Zukunft sogar die Kapazität der bisherigen Airbus A380 ersetzen.
Das Erscheinungsbild: Imposant, modern, dynamisch. Mit einer Länge von 76,48 Metern und 344 Tonnen maximalem Abfluggewicht in der Ausführung als -9 wächst der Jet in sämtlichen Bereichen.
Nach der Einführung der 787-Reihe konnte Boeing viele der neuen Techniken 1:1 auf die 777X transferieren. Dazu zählen neben der kompressorgetriebenen Bleed-Air-Versorgung auch eine Erhöhung der Luftfeuchtigkeit, eine geringe Kabinenhöhe von nur 1.800 Metern und höhere, größere und vollständig dimmbare Fenster für die Passagiere. Der Rumpf selbst wächst im Durchmesser um gute zehn Zentimeter, was im Verbund mit einer dünneren Außenwand und einer verbesserten Isolierung für zusätzliche Kapazität sorgt.
Die Tragflächen sind länger und bestehen aus Verbundwerkstoffen wie Glas- und Kohlefaser. Die erhöhte Spannweite bewirkt eine größere Streckung (Verhältnis von Spannweite zu Flächentiefe). Hiermit erhöht man den Wirkungsgrad des Flügels um ein Vielfaches.
Die Flächen basieren auf der 787, sind aber weniger nach hinten gepfeilt. Fly-By-Wire ist natürlich ebenso in einer verbesserten Variante verbaut. Die zentrale Flügelbox ähnelt der „alten“ 777, ist allerdings mit Titan verstärkt und dementsprechend schwerer. Der Flügel würde mit seiner deutlichen größeren Spannweite von 68,6 Metern in die Kategorie F für Flughäfen fallen, ähnlich der B747-8 oder dem A380.
Damit die 777X aber noch an denselben Gates wie die 777 abgefertigt werden kann, hat Boeing in Zusammenarbeit mit Liebherr Aerospace aus Deutschland einen Mechanismus entwickelt, mit dem man die Flügelspitzen am Boden anklappen kann. Nach oben geklappt, schrumpft der Flügel unter die magische Marke von 65 Metern, und fällt damit in die Kategorie E. Die amerikanische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde FAA verlangt von Boeing höchste Redundanz und spezielle Verfahren, um ein Hochklappen im Flug auszuschließen. Das Höhenruder wird ebenfalls vergrößert.
Allein die Entwicklungskosten der Tragflächen haben einen Anteil von zwei Milliarden USD an den fünf Milliarden USD Gesamtkosten des Projekts.
Auch im Cockpit setzt Boeing auf Standards aus der B787. Größere Displays mit Touchscreens sowie die Steuerung für die klappbaren Flügelenden unterscheiden die 777X von ihrem Vorgänger. Ein bei Airbus bereits länger eingesetztes Brake-To-Vacate-System hilft dem Piloten, einen optimalen Bremsvorgang auf der Landebahn durchzuführen, um am entsprechenden Rollweg die Piste verlassen zu können.
Um an den Erfolg des GE90 an der 777 anzuknüpfen, entschied sich Boeing bei der 777X für eine gemeinschaftliche Entwicklung mit General Electric. Das GE9X getaufte Triebwerk wird das alte GE90 um gute 15 Zentimeter im Durchmesser übertrumpfen und ohne Alternative von Boeing angeboten.
Der gesamte Kerosinverbrauch sinkt gegenüber dem Vorgänger um gute 10 Prozent. Umgerechnet auf den Passagier bedeutet dies sogar eine Einsparung von etwa 21 Prozent pro Sitz und 16 Prozent Verbesserung bei den kompletten operativen Kosten.
Da Boeing neben der 777X zuerst die 737 MAX auf den Markt bringen wollte, wurde das 777X Projekt um etwa ein Jahr ausgebremst. Auf der Dubai Airshow im Dezember 2013 erhielt Boeing zum Launch einen Auftrag von Emirates über 150 Maschinen. Neben Qatar (50 Jets) und Etihad (25 Jets) setzte auch Lufthansa Optionen auf 34 Maschinen, welche danach auf 20 Flugzeuge nach unten korrigiert wurden. Vor der Reduktion sollte Lufthansa sogar als erste Airline den neuen Jet erhalten. Aufgrund der enormen Anzahl an Bestellungen geht diese „Ehre“ inzwischen an Emirates.
Nach dem geplanten Erstflug im Sommer diesen Jahres soll die Auslieferung etwa im Sommer 2020 erfolgen, solange es bei der Zulassung keine Verzögerungen gibt.
Die Konstruktion begann im Dezember 2014 mit dem Bau einer neuen Montagehalle in St. Louis. Zum Ende 2019 sollen bis zu vier Prototypen als 777-9 für Boeing die notwendigen Testverfahren absolvieren. Der Tag des offiziellen Rollouts der allerersten Maschine am 13. März 2019 wurde allerdings vom Absturz der Ethiopian Airlines B737-MAX drei Tage vorher überschattet. Boeing muss sich daher mit neuen Zulassungsverfahren beschäftigen. Genaueres über die Zusammenhänge der B737-MAX könnt ihr bei uns ebenfalls hier nachlesen.
Bisher ist die Produktion der 777X dadurch nicht im Nachteil. Für Boeing steht eine spannende Zeit bevor. Nicht nur die 737 MAX muss sich als geplanter Kassenschlager behaupten, auch die 777X ist eines der wichtigsten Projekte des 21. Jahrhundert für die Firma aus Everett.
Bilder © Boeing
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